Per Anhalter an Mr Lush, City of Westminster

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Geposted von admin am

Dear Lush,

ich bin wohlbehalten in Zürich eingetroffen. Haben Sie Dank für Ihre Zeilen. Es ist zu schade, dass sich unsere gemeinsame Freundin Ihren viel zu langen Hals verrenken musste. Aber was bitte hat Sie denn an den Blumentöpfen von Lady Supercilious auch zu suchen? Wollte Sie etwa den Duft von Stiefmütterchen erschnuppern? Meine besten Genesungswünsche. Anbei sende ich unserer Kuku diesen Kajalstift für Ihre ach so schönen Augen.

Zu einem späten Mittagessen war ich in unserem Lieblingsrestaurant und habe von der Bar nebenan einen schönen schweren Brandy Alexander kommen lassen. Ich saß in der ersten Etage, um dem Rummel unten aus dem Wege zu gehen. Schade ist nur, dass ich diesmal nicht die Gelegenheit hatte, das herrliche Portrait von der Patronin Hulda betrachten zu können. Sie erinnern sich daran? Wir saßen direkt darunter. Beim achten oder neunten Kirsch hatten wir das Gefühl, dass die Patronin uns ins Ohr flüstert.

Als der erste Schluck vom Alexander langsam und schlüpfrig meine Kehle herunter rann – und ich die leichte Entspannung des Alkoholes fühlte – erlaubte ich mir ein Blick auf die anderen Gäste. Meine Augen blieben auf einem älteren Gast ruhen. Seiner Körperfülle nach zu urteilen, ein Walross. An Ihm war alles abgerundet und im Zustand leichter Schwingung. Das Körperfett trat aus allen Öffnungen seines Anzugs – wie flüssige Lava. Dem Schneider sei Dank, denn der Anzug gab diesem Herrn seine Form. Ich war von dieser Person hypnotisiert. Konträr zu dieser Erscheinung waren seine Hände. Die Fingernägel spatelförmig, die einzelnen Finger wie aus Marmor gearbeitet, fast durchsichtig – die Adern gaben diesen Händen ein bläuliches Leuchten. Mit dem Besteck hantierte er präzise, abgezirkelt und feinfühlig – eine Mischung aus Uhrmacher und Chirurg. Ein jedes Sinfonieorchester ist bereit, diesen starken und feinnervigen Händen bis zum Abgrund der Dissonanz zu folgen. Ich war ganz versunken in dieses Bild, wahrlich, ich starrte regelrecht.

Der Herr gab mir mit seinen majestätischen Händen ein Zeichen, bei Ihm am Tisch Platz zu nehmen. Ich schlenderte hinüber, machte meinen Diener. Er gewährte, in der Manier von Louis XVI, huldvoll einen Platz an seiner Tafel. Nach den üblichen Präliminarien und freundlichen Worten der Höflichkeit kam er zum Thema: Ich sei wohl von seinem Appetit und der körperlichen Erscheinung ganz benommen. Dabei sollte ich aber nicht übersehen, dass er das Ergebnis 40-jähriger Arbeit im Weinberg des Herrn sei. Sein Doppelkinn sei ein Concerto Grosso, der Bauch eine Opera Buffa, die Oberschenkel eine melancholische Rhapsodie – jedes vibrieren der Speckfalten ein Lobgesang der Engel. Er sei ein Kunstwerk erschaffen aus Crème Fraîche, Sahnebutter und der Raffinesse von hunderten Köchen, die Hekatomben von Rebhühnern, Rindern und Austern – zum höheren Ruhme Gottes – auf dem Altar seines Körpers dargebracht hatten. Dies sagte er leise wie ein Schalldämpfer und zielgenau wie der Pfeil des Amor. Ich war baff und grinste wie die Katze aus Alice im Wunderland. Er erhob sein Glas mit Weißwein genau in dem Moment als ein Sonnenstrahl die goldfarbene Flüssigkeit in ein brillantes Feuerwerk verwandelte. Ich legte meinen Kopf ein wenig schräg und da erkannte ich: Bacchus himself! Meine Nackenhaare standen und ich verspürte einen leichten Schauder. Wahrlich nicht jeden Tag sitze ich einem Gott gegenüber. Dann zwinkerte er mir zu und schob mir einen Teller mit kandierten Früchten zu. In diesem Moment schwebte mein Stuhl einige Zentimeter über dem Boden. Helvetia est: laudatur enim pulchra loco deorum.

Heute Morgen war ich mir nicht mehr ganz sicher, was ich gesehen hatte. Sie verstehen – der viele Wein, der noch folgte. Die kandierten Früchte liegen jedoch fein säuberlich auf dem Nachtkasten und leuchten in der Sonne.

Hier nun meine Lektüreempfehlungen:

Jean Anthelme Brillat-Savarin: „Physiologie des Geschmacks oder Betrachtungen über das höhere Tafelvergnügen“ – ein Brevier eines philosophisch gebildeten Gourmets.

„Kochen für Gertrude Stein/ Rezepte und Geschichten“ von Alice B. Toklas. Welch eine Überraschung: Frau Stein konnte nicht kochen aber gut Essen.

Seien Sie herzlich gegrüßt und ich sende unserer Tier-Gang meine tiefe Zuneigung. 

Nicht vergessen – schreiben Sie mir.

A cattus cum capitis dolore, Ozelot

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